Starilepel, die kleine 600-Bewohner Ortschaft vor den Toren der Kreisstadt Lepel im Witebsker Nord-Osten von Belarus, entpuppt sich seit einiger Zeit zu einem Gemeinwesen mit Lebensqualität. Höhepunkt war am 22. August, die Einweihung des Hauses der Begegnung, ein unvergesslicher Tag für die Anwesenden. Bis dahin aber ein langer Weg.
Begonnen hatte es vor 10 Jahren mit der Entscheidung der Verwaltung des Kreises Lepel, der deutschen Hilfs- und Bauorganisation „Heim-statt Tschernobyl“ ein Baugelände für 20 Häuser zur Umsiedlung von Familien aus dem Tschernobylgebiet zur Verfügung zu stellen.
Seither laden „Heim-statt Tschernobyl e.V.“ und ihr belarussischer Partner „ÖkoDom“ jährlich zu dreiwöchigen internationalen Workcamps ein, um mit jeweils einer Familie aus dem Tschernobylgebiet und für sie ein Wohnhaus zu errichten. Soeben ist in der Sommer-Saison 2009 das 21. Haus entstanden, – ökologisch und gut isoliert gegen Kälte – aus Holz, Lehm und Schilfplatten. Die 20. Familie macht sich gerade zum Umzug auf den Weg hierher aus der verstrahlten Zone.
Für Edeltraud Schill, die Koordinatorin der deutschen Organisation, wurde aber bald deutlich, dass es mit dem Häuserbau allein nicht getan ist. Isoliert fühlten sich die Zugezogenen. Die Einheimische hielten sich vor den Fremden verdeckt.
In vielen Kontakten ermutigte Edeltraud Schill die Bevölkerung, eine Bewohner-Initiative zu gründen. Tatsächlich bildete sich ein „Team“, wie sie es nannten. Die Schule stellte einen Klassenraum zur Verfügung. Gemeinsame Nähkurse wurden zur echten Attraktion für Einheimische und Zugezogene. Gruppenabende, Kurse, Kindernachmittage, Feste und Feiern schlossen sich allmählich an.
Als die Schule keinen Platz mehr bot, stellte sich konsequent die Frage nach einem eigenen Gemeinschaftshaus.
Einer Einladung der Robert-Bosch-Stiftung nach Deutschland folgend besuchte das „Team“ mehrere Dorf-Gemeinschaftshäuser. Für Starilepel entschied man sich zur Planung eines „Hauses der Begegnung“, um unterschiedliche Gruppen, Besucher auch von außen einladen zu können.
Große Enttäuschung jedoch, als man auf einen wunderbaren gemeinsamen Planungsvorschlag wegen zu hoher Kosten verzichten musste, – sicher ein herber Rückschlag für die begonnene Dorfentwicklung.
Dann aber warben „Heim-statt Tschernobyl“ und „OekoDom“ für ein Modellhaus nach Niedrig-Energie-Standard, das beispielhaft eine preisgünstige Gebäude-Unterhaltung gewährt. Über das Förderprogramm Belarus der deutschen Regierung wurden an diesem Modell durch Ausbildungskurse belarussische Handwerker und Studenten in die Bautechnik von Niedrig-Energie-Häusern eingeführt.
Die deutsche Energieunternehmen Paradigma spendete das gesamte Heizungssystem, das die Energie ausschließlich aus Sonnenwärme und Holzpellets erzeugt.
Für die Einweihung in diesem Sommer entpuppte sich Starilepel zu einem internationalen Treffpunkt, denn für eines der Workcamps hatte sich neben Deutschen und Belarussen eine Jugendgruppe aus Palermo(Sizilien) angemeldet und mitgearbeitet.
Der 22. August 2009 – die offizielle Einweihung – gestaltete sich zu einem festlichen und kulturellem Höhepunkt des Jahres. Eingeladen waren offizielle Vertreter aus Belarus und Deutschland, aber sie gingen unter, angesichts der großen anwesenden Dorfgemeinschaft. Nach der offiziellen Einweihung des Hauses, mit Reden, Schlüsselübergabe und fachkundlicher Führung hatten die Workcamp-Gruppe und die Umsiedler bei hochsommerlichen Wetter alle Besucher – 300 dürften es sicher gewesen sein – zu einem gemeinsamen Mittagessen auf dem angrenzenden Schulhof eingeladen.
Am Nachmittag wurde es erst richtig lebendig. Das Lepeler Gymnasium mit seiner Deutschabteilung und zwei Kunstschulen der Stadt warteten mit einem großen Kulturprogramm auf. In mühevoller Vorarbeit hatte die Deutschlehrerin Svetlana Schakura ein Märchen des russischen Dichters Puschkin für eine Aufführung zugrundegelegt und es in Liedvorträgen, Tänzen, Gedichten auf das Dorf und ihr wunderbares neues Haus umgedichtet. Ein Programm von hoher künstlerischer Qualität wurde begeistert von den Studenten vorgetragen und riss die Besucher mit in ihren Bann.
Anschließend lieferten auch die Dorfgemeinschaft und die Workcamp-Teilnehmer eigene Beiträge.
Viele blieben noch über das Abendessen hinaus, bis in der klaren Sommernacht am großen Lagerfeuer die Menschen aus Palermo, Stuttgart, Hamburg, Minsk und der Nachbarschaft sich durch ihre Lieder zu einer großen Gemeinschaft vereinigten.
Es war für viele der Anwesenden wie eine Sternstunde der Völkerverständigung, auch ein Zeichen der Hoffnung nach Tschernobyl.
Dietrich von Bodelschwingh